Getanztes Leid -
die Klassen 10a und 10b besuchen ein Tanztheater in der Pilkentafel
Trockenblumen an durchsichtigen Fäden hängend bilden einen Käfig, in dem zwei Menschen liegen – der erste Eindruck, den die Jugendlichen vom Tanztheater „Du kannst mich Ana nennen“ der Gruppe „Warzecha und Kompliz:innen“ bekommen, ist wunderschön und wirft sofort Fragen auf: Warum Trockenblumen? Welche Verknüpfung gibt es zum Stück über Essstörungen? Warum gibt es ein Innen und ein Außen auf der Bühne? Die Klassen 10a und 10b hatten das Thema im Englischunterricht behandelt und wollten sehen, wie diese Problematik auf der Bühne umgesetzt wird. Nach 50 Minuten waren die meisten Jugendlichen schwer beeindruckt und sprachlos, wie ergreifend die Beziehung zwischen der personifizierten Essstörung und dem essgestörten Menschen dargestellt wurde. Ana, wie sich die Essstörung – übrigens in tatsächlich existierenden Chatforen – nennt, greift als Figur stumm, aber deutlich in das Leben zweier Jugendlicher ein, verhindert das Essen, treibt zum Sport an, animiert zum Erbrechen. Ständig wiederholen sich die Abläufe, werden in ihrer Vehemenz immer mehr gesteigert, bis eigentlich nur noch zitternde und zuckende Körper auf der Bühne zu sehen sind, während im Hintergrund Zitate aus realen Chats gezeigt werden. Die Jugendlichen spüren und erleben allein durch das Zuschauen, wie sich aus einer scheinbar hilfreichen Beziehung eine dominante und bedrohliche Abhängigkeit entwickeln kann, aus der es ohne weiteres kein Entkommen gibt. Ein Leben im Käfig unter der Herrschaft eines Ungeheuers, das sein verzerrtes Körperbild zum Maß aller Dinge macht. Und plötzlich erschließen sich viele weitere Aspekte: die angedeuteten Risse im Kostüm verweisen auf ein verletztes Selbstbewusstsein, ungleiche Hosenbeine zeigen, dass jemand aus dem Gleichgewicht gekommen ist und das Schweigen der Tanzenden veranschaulicht, dass betroffene Menschen ihr Leid verheimlichen. Im Nachgespräch betont die Regisseurin und Choreographin Anna Warzecha deswegen auch immer wieder, dass Betroffene sich jemandem Vertrauten öffnen und über ihre Not sprechen sollen. Hier wird dann auch klar, warum Trockenblumen das Bühnenbild ausmachen: Sie sind zerbrechlich und zart, aber im Grunde genommen leblos – ein Synonym für essgestörte Menschen.
